Ein Tiroler Bildhauer

Ein Tiroler Bildhauer in Bayreuth und Potsdam

Zum 300. Geburtsjahr und 240. Todesjahr von Johann Schnegg, geboren am 27.5.1724 in Imsterberg, gestorben am 19.11.1784 in Arzl im Pitztal

Raub der Sainerinnen, um 1750/52, Bayreuth

Von Gert Ammann

Für Künstler – Maler wie Bildhauer – war Tirol immer ein enges Land. Viele suchten daher oft weit über die Grenzen hinweg Aufträge und Beschäftigung. Nach der Lehre, meist bei einem Künstler im Ort oder nahe des Heimatortes, mussten sie auf Wanderschaft gehen. Das schrieb ihnen die Zunftordnung vor. Auch wenn die Zünfte in früheren Zeiten vor allem an ein städtisches Gemeinwesen gebunden war, so galten diese Ordnung ab der Barockzeit auch an Orten in dezentralen Regionen. Auf den Wanderschaften lernten sie meist aktuelle Kunstformen kennen oder begegneten schon berühmteren Künstlern, die einen großen Eindruck auf sie ausübten.

Die Künstler im Tiroler Oberland waren im 18. Jahrhundert dezentral in kleinen Ortschaften tätig: Imst, Landeck, Fendels, Prutz, Kappl, Imsterberg oder Arzl im Pitztal. In Imst war die Bildhauer- und Malerfamilie der Witwer bis ins 19. Jahrhundert dominierend, begleitet von den Künstlern der Familie Renn. In Fendels wirkten Vater und Söhne Kölle, in Prutz Adam Payr, in Kappl Johann Ladner und eben in Imsterberg und Arzl im Pitztal Johann Schnegg.

Das Jahr 2024 lenkt den Blick auf den vor 300 Jahren geborenen Bildhauer Johann Schnegg aus Imsterberg, der nach langer Tätigkeit im „Ausland“ wieder in die Tiroler Heimat nach Arzl im Pitztal zurückgekehrt war. Die frühest erhaltene biografische Nachricht über Leben und Werk von Johann Schnegg ist aus den Jahren bald nach seinem Tod erhalten, sodass man wohl annehmen kann, dass eine authentische Nachricht vorliegt. Der Zeichenlehrer Peter Denifle in Innsbruck hat in seinen „Nachrichten von berühmten tirolischen bildenden Künstlern“ im Jahre 1801, also siebzehn Jahre nach dem Tod von Schnegg notiert: „Schneck von Imsterberg“. Die Schreibweise des Namens als Schneck, Schneeg oder Schnegg ist unterschiedlich und nicht ungewöhnlich für diese Zeit. Denifle berichtet unter anderem eine beeindruckende Episode: „In den letzten Jahren seines Lebens ist er so gewissensängstlich geworden, daß er es sehr bereute, in seinem Leben nackte Figuren verfertigt zu haben, und daß er alle seine Zeichnungen dieser Art verbrannte. In Preussen hat er sehr vieles gearbeitet, und sich eine bedeutende Summe Geldes gesammelt, die er, da man ihn nicht entlassen, oder doch die Wegführung des Geldes nicht gestatten wollte, dadurch über die Gränze und nach Hause brachte, daß er das Geld in ausgehöhlte hölzerne Figuren von seiner Arbeit verbarg. So erzählte mir Hr. Ebner von Imst“.

Erzengel Raphael mit Tobias, um 1770, Imsterberg

Hans Heinrich Füßli berichtet in seinem „Allgemeinen Künstlerlexikon, oder: Kurze Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider u. u. Nebst angehängten Verzeichnissen der Lehrmeister und Schüler, auch der Bildnisse, der in diesem Lexikon enthaltenen Künstlern. Zweyter Theil“ (Zürich 1813, S. 1523): „Der Bildhauer aus Tyrol gebürtig, hieß Johann, und Schneeg ist sein richtiger Geschlechtsname.“ Er zitiert den Autor Spieß, der sagte, „daß er [Schnegg] Hofbildhauer zu Bayreuth war, und bey der Errichtung der dasigen Kunstakademie 1756 zum Lehrer seines Faches bey derselben bestallt wurde. Dort scheint er noch 1761. Da aber zwey Jahre später gedachte Akademie ein Ende nahm, so mag er mit andern Künstlern mehr, damals nach Berlin gewandert seyn.“ Und er zitiert Hirschings Nachrichten von Kunstsammlungen: in Bayreuth „soll sich in einem eigens dazu errichteten kleinen Gebäude im Holzgarten zu Bayreuth eine wohlgerathene, fleißig ausgearbeitete, zu einem großen Bassin bestimmt gewesene, Gruppe mit Seenymphen u. dgl. von ihm finden. Dieses Werk, was übrigens etwas zu kolossal ausgefallen sey, wäre aber durch den Tod unseres Künstlers (dem Lex. zufolge müßte es eher wegen seiner Entfernung geschehen seyn) unvollendet geblieben.“

Franz Karl Zoller berichtet in seinen Rückerinnerungen an seinen eigenen Lebenslauf (Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Sign. Dip. 723 MS II, S. 49): „Schon seit dem J. 1817 hatte ich von einem Landsmann aus dem Oberinnthale ein Kunststück von dem rühmlich bekannten Bildhauer Schneck, einem geborenen Tiroler mit dem Versprechen übernommen, solches womöglich zu veräußern; es stellte den Erzengel Michael von Elfenbein vor, zu seinen Füßen den Luzifer von Ebenholz, samt dem Piedestal (Podest) 1 Schuh 9 Zoll hoch. Der Besitzer hatte es von den Erben an einer Schuld übernehmen müssen, und wünschte 150 fl dafür zu bekommen. Ich that das möglichste, um es bekannt zu machen, stellte es im Saale der k.k. Baudirection zu jedermanns Ansicht auf, zeigt und erklärte es jedem Fremden von Distinction, ließ eine ausführliche Beschreibung davon in die Innsbrucker Zeitungsetzen; allein kein Käufer wollte sich finden; endlich überschickte ich das Kunstwerk an meinen Landmann und Freund Zauner nach Wien, der die Gefälligkeit für mich hatte, solches dem Kaiser selbst vorzustellen; S.e Mayestät kauften es für allerhöchst dero Schatzkammer und zahlte dafür 50 Species Ducaten. Man stelle sich nun die Freunde (Freude!) des Verkäufers vor, der sich in der Ungeduld bereits auf einen namhaften Abschlag gefasst gemacht hatte, als es endlich nach 3 Jahren anstatt 150 fl R.M. deren 270 erhielt.“

Nun ist dieses Prachtstück von Johann Schnegg, einst für den Fürstbischof von Brixen gefertigt, in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien ausgestellt.

Der Elfenbeinexperte Christian Theuerkauff konnte unserem Bildhauer auch eine Elfenbein/Holz Statue in Klosterneuburg zuschreiben, indem er meint: „Eine Generation jünger als (Simon) Troger übt der Ansbacher Hofbildhauer Johann Schnegg aus Tirol die Elfenbeinschnitzerei nur mehr als Nebenbeschäftigung aus. Er verwendet die Materialien getrennt nach Figur (Elfenbein) und Kulisse (Holz), wie in unserer Darstellung Daniel in der Löwengrube.“ Und er schreibt auch weitere Elfenbeinarbeiten unserem Meister in der Privatsammlung Winkler zu: Eine Europa schmückt mit ihren Gefährtinnen den Stier. Raub der Europa (um 1740/50) und die Statue des hl. Stanislas Kostka.

Wie war nun der Lebensweg von Johann Schnegg? Er fand vermutlich seine Ausbildung bei dem Imster Bildhauer Balthasar Jais und später bei dem in Innsbruck tätigen Stefan Föger aus Tarrenz. Er wirkte dann ab 1747 beim Hofbildhauer Johann Georg Ziegler in Bayreuth, dessen Tochter er 1748 heiratete und nach dem Tod ihres Vaters somit auch die Werkstatt übernehmen konnte. Markgraf Friedrich von Brandenburg und seine Gemahlin, die Schwester von Friedrich d. Großen, waren seine Auftraggeber. Bereits 1749 wurde Schnegg deren Hofbildhauer. Eine große Sandsteinfigur der Flora hat sich aus dieser Zeit in der Orangerie in Bayreuth erhalten. Hier in Bayreuth fand er zusammen mit dem einheimischen Bildhauer Johann Gabriel Räntz und dessen Sohn Johann David große Aufträge für Skulpturen am Bassin der Eremitage und für Vasen mit Reliefs antiker Szenen. 1750/52 liefert er mit Räntz d. J. die kolossale Gruppe des Raubes der Sabinerinnen. 1756 wurde er zum Leiter der neu gegründeten Akademie, die aber nur bis 1761 existierte, ernannt. In dieser Zeit schuf er auch ein Kruzifixus und eine Madonna in der Wallfahrtskirche Gössweinstein. Nach Josef Ringler hatte Schnegg zwei Gehilfen bzw. Schüler:  Georg Dorsch und Andreas Neuhäuser aus Purbach.

Schließlich wurde Johann Schnegg vermutlich über Vermittlung der Markgräfin an ihren Bruder als Hofbildhauer nach Potsdam berufen. Dort war er mit Puttengruppen der „unartigen Kinder“ für die Parkanlage von Sanssouci befasst, die sich heute noch erhalten haben. Zu seinem Hauptwerk in Potsdam zählt die Marmorbrunnengruppe im Grottensaal des Neuen Palais. Dann kam eine entscheidende Wende in seinem Leben und Wirken. Es wird berichtet, dass er bei Nacht und Nebel Potsdam verließ oder gar von dort flüchtete, in dem er sein Vermögen von 2000 Talern zurückließ, aber sein übriges Geld in hohle Holzfiguren versteckt haben soll, um es auf der Reise in die Heimat zu „retten“.

Der stürzende Luzifer, um 1775, St. Jakob am Arlberg

In Tirol entstand nun sein reifes Haupt- oder Spätwerk. Seine beiden Schutzengelgruppen in der Pfarrkirche Imsterberg zählen zu edel modellierten Schöpfungen seiner Hand. Für den Neubau der Kirche in St. Jakob am Arlberg lieferte er 1774 die elegant komponierten, bemalten und vergoldeten Altarfiguren und vor allem die Kanzel mit der Verklärung Christi am Kanzeldeckel und dem Engelssturz am Kanzelkorb. Diese dramatisch gebildete Figur des stürzenden Satans ist zu einem spätbarocken Symbol des Bösen geworden. Nach Norbert Mantl verbrannte 1945 eine große Weihnachtskrippe von Schnegg in Imsterau, hingegen jene in Arzl wird heute noch als imposantes Bildwerk am Hochaltar der Pfarrkirche aufgestellt. In Arzl ist aber auch die schlichte, aber ausdrucksstarke geschnitzte Christusfigur im Grab, der „Grableger“, der in der Karfreitagsprozession mitgetragen wird, erhalten.

Zu seinen Hauptwerken zählen die Altarfiguren in der Pfarrkirche Götzens und Ranggen.

In Ranggen flankieren das Hochaltargemälde des hl. Magnus von Josef Anton Zoller die beiden eleganten in Holz geschnitzten, weiß gefassten und daher Marmor vortäuschenden Statuen der Hll. Ingenuin und Albuin mit ihren Bischofsmützen haltenden Putten, die auf deren Funktion als Bischöfe von Säben und Brixen weisen. Im Zusammenspiel der Altarbilder von Zoller, den Gewölbefresken von Franz Anton Zeiler und dem Freskobild in der Sakristei vom Schwazer Maler Christoph Anton Mayr vermittelt dieses Gotteshaus ein eindrucksvolles Farbenspiel des Barock.

Noch imposanter ist aber die Pfarrkirche von Götzens, ein festliches Gotteshaus mit den Gewölbemalereien von Matthäus Günther aus München, den überreichen Rokoko-Stuckarbeiten und den Altären, die wie in einem Theatersaal kulissenartig zum Hochaltar angeordnet sind. Eine wahrliche Schaubühne mit vielen Heiligen als Akteure. Den Hochaltar zieren die Statuen der Hll. Ingenuin und Albuin, der Wetterherren Johannes und Paulus sowie der beiden Schutzengeln. Im Auszug wacht die hl. Maria mit dem Jesuskind über allen. Eine grandiose Inszenierung! Und inmitten dieses Raumes steht das große Vortragekreuz, ein Meisterwerk von Schnegg.

Hochaltar der Pfarrkirche Götzens, um 1778

Noch viele Werke stammen aus seiner Hand oder werden ihm zugeschrieben: in Gößweinstein 1763, Obsaurs 1777, Wiblingen 1779, Jerzens, Meransen und in der Augustinerkirche Bozen-Gries sowie im Museum Bruneck. Nicht zu unterschätzen sind die vielen Krippenfiguren aus seiner Jugendzeit im Raum Arzl im Pitztal, die in Privatbesitz noch heute in hohen Ehren gehalten werden. Willi Pechtl führt über diese Krippenfiguren in seinem Buch „Im Tal leben“ (Innsbruck 2015, S. 326) aus: „Diese Schnegg-Krippe beinhaltet, neben der Gruppe um die Geburt Jesu, Volksdarstelllungen und den Legenden nach von Herodes befohlene Kindermord in Bethlehem. Diese drastischen Darstellungen werden kontrastiert von weinenden und um das Leben ihrer Kinder kämpfenden Frauen. Bei einer späteren Krippe greift Schnegg dieses Thema wieder auf. Die Figuren sind fast expressiv gestaltet. Es wird nichts geschönt. Er zeigt Widersprüche auf: Geburt, Verehrung, Bedrohung, Achtung, Würde, aber auch Missachtung, Verfolgung, Flucht, Mord, und Widerstand sind seine Themen.“

Zu Schneggs Ehren wurde am 14. Oktober 1951 an seinem Geburtshaus eine Gedenktafel errichtet: Geburtshaus des königl.-preuß. Hofbildhauers und Akademieprofessors JOHANN SCHNEGG geb. 27.5.1724 in Imsterberg, gest. 19.12.1784 in Arzl bei Imst.

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner